Wie funktioniert Neurofeedback?
Um diese Frage umfänglich beantworten zu können, muss man sich zunächst mit dem Gehirn und anschließend mit der Neurofeedback Methode beschäftigen. Auf dieser Seite möchte ich versuchen Ihnen diese spannenden Themen näher zu bringen...
Eine kurze und vereinfachte Erklärung finden Sie unter dem Punkt "Metapher".
Was ist Neurofeedback?
Neurofeedback gehört zu den neueren Therapiemethoden und wird überwiegend bei neurologischem und psychiatrischem Klientel erfolgreich angewendet. Aber auch im Bereich des Spitzensports und bei Berufsmusikern hat es seinen festen Platz gefunden. Es handelt sich um eine zunehmend nachgefragte computergestützte Therapie- und Trainingsmethode, die sich auf die selbst regulierenden Fähigkeiten des Gehirns stützt. Erfolge dieser Methode wurden bereits wissenschaftlich nachgewiesen (1).
Im Gehirn arbeiten unzählige Nervenzellen. Sie stehen ununterbrochen in Kommunikation miteinander. Nachgewiesenermaßen steht ein bestimmtes Verhalten einer Person mit dem entsprechenden Aktivitätsmuster der Nervenzellen im Zusammenhang. Stark vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, dass die richtig funktionierende Kommunikation dieser Nervenzellen eine wesentliche Voraussetzung für unsere Ausgeglichenheit darstellt. Dies ermöglicht uns effektiv zu arbeiten, den Herausforderungen des Alltags und des Lebens mit Kraft und Zuversicht zu begegnen und regenerierende Ruhephasen einzulegen. Das Nervensystem ist für körperliche und seelische Prozesse zuständig. Es koordiniert unsere Gliedmaßen, reguliert die Tätigkeiten der Organe, steuert unser Verhalten und Emotionen, nimmt die Einflüsse aus unserer Umwelt auf, speichert Erinnerungen, und lässt uns Entscheidungen fällen. Es setzt uns als Organismus mit der Umwelt in Beziehung (2).
Doch unser Nervensystem kann aus unterschiedlichen Gründen wie Traumata, Sucht, physische oder seelische Erkrankungen, Entwicklungsstörungen, Stress etc. beeinflusst werden. Das Aktivitätsmuster ändert sich und somit auch unser Zustand. Dies äußert sich individuell und kann in Art, Dauer und Intensität der Symptome variieren. Je nach Schwere dieser Beeinträchtigung findet unser zentrales Nervensystem von selbst wieder in eine ausgewogene Struktur zurück. In manchen Fällen braucht es therapeutische Hilfe, um diese "Fehlkommunikationen" zu erkennen und korrigierend einwirken zu können. Die Sprache der Nerven basiert auf chemischen und elektrischen Impulse. Medikamente greifen den chemischen Teil der Kommunikation an. Neurofeedback den elektrischen.
Vergleichbar wie mit einem Spiegelbild erkennt das Gehirn mit der Neurofeedback-Methode Unstimmigkeiten bei sich selbst und beginnt sich umzustrukturieren. Es lernt sich selbst wieder ins Lot zu bringen, zwischen Erregungszuständen wie bspw. Ruhe oder Konzentration zu wechseln, effizienter zu arbeiten oder auch stabil auf einem Level zu verweilen. Neurofeedback ist deshalb keinesfalls eine rein therapeutische Anwendung. Sie kann ebenfalls zielgerichtet als Hirnleistungstraining eingesetzt werden und den Ausbau bestimmter Fähigkeiten fördern.
Das Gehirn
Um die großartige Leistung unseres Gehirns zu verstehen, stellen Sie sich folgende Aufgabe vor: Sie sollen die Mitglieder eines Kongresses zu einer logischen und vernünftigen Handlung bewegen. Es sind allerdings Milliarden Teilnehmer anwesend und Sie bekommen nicht mal eine Sekunde Zeit diese Aufgabe zu erledigen. In unserem Körper passieren solche Prozesse pausenlos und äußerst präzise.
Das Gehirn arbeitet unentwegt daran Einflüsse von Außen und aus dem Inneren des Körpers aufzunehmen, Wichtiges und Unwichtiges zu unterscheiden, Neues mit Bekannten zu vergleichen, Lösungsmöglichkeiten abzuwägen und innerhalb von kürzester Zeit eine adäquate Antwort zu geben. Das Denken, Planen, Handeln, Problemlösen aber auch Persönlichkeitsmerkmale und Emotionen werden dadurch möglich (3).
Um allgegenwärtig Entscheidungen zu treffen und das eigene Überleben somit sicherzustellen, stehen unzählige Nervenzellen im Gehirn permanent in Kommunikation. Diese wird über kürzere und längere Wege im Gehirn an unterschiedliche Orte weitergegeben und verarbeitet. So können eine Vielzahl von Nerven miteinander „diskutieren“, um die bestmögliche Reaktion auszulösen (3). Dabei geht es weniger darum, was eine einzelne Zelle zu sagen hat, sondern vielmehr was Zellverbände, auch Netzwerke genannt, "meinen". Eine wichtige Rolle nehmen dabei Zellen namens Astrozyten ein. Sie stellen 90% des Gehirnvolumens dar.
Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass Astrozysten bei folgenden Prozessen beteiligt sind (5):
- Schaffung neuer Synapsen
- Netzwerkerregbarkeit managen
- Leitung des Blutflusses zu aktiven Netzwerken
- Koordination und Organisation von Stimmungs- und Zielverhalten, einschließlich Sprache
- Beschleunigung der Signalweiterleitung
- Schutz der anderen Nervenzellen
- Entsorgung von Abfallprodukte durch die Blut-Hirn-Schranke
Wenn Astrozyten richtig funktionieren, senden sie verschiedene Botschaften an verschiedene Neuronen und schaffen somit die Basis für ein gut reguliertes Gehirn. Unreife oder kranke Astrozyten senden jedoch die gleichen Signale an alle Neuronen mit denen sie verbunden sind. Dies ist der Grund warum eine Störung bei diesen Zelltypen bei vielen mentalen Erkrankungen besteht, wie AD(H)S, Depression, bipolare Störungen, Autismus, Schizophrenie, Epilepsie, Alzheimer, Parkinson und Multiple Sklerose (8),
Die Kommunikation der Nervenzellen ist vergleichbar mit einem Orchester. Durch das Zusammenspiel mehrerer Instrumente entsteht ein wohlklingendes Lied. Der Zuhörer nimmt dabei nicht die Leistung des einzelnen Musikers wahr, sondern die Melodie als Ganzes.
Wieviel nimmt das Gehirn wahr?
Damit das Gehirn, bezogen auf das Beispiel richtig spielt muss es die Situation erkennen, in der sich die Person gerade befindet (z.B. muss sich die Person aktuell konzentrieren oder darf sie sich entspannen?). Zum anderen muss es den entsprechenden Zustand einnehmen, in dem es gut auf die vorherrschende Situation reagieren kann. Das bedeutet, je nachdem ob wir konzentriert sein müssen oder uns entspannen können, wechselt das Gehirn in einen anderen „Modus“. Für diese Wechselprozesse sind bestimmte Netzwerke zuständig. Diese wiederum funktionieren nur gut, wenn auch ein optimales Erregungslevel im Gehirn vorherrscht. Arbeitet die Basis adäquat, können "darüberliegende" Nerventätigkeiten, die spezifischere Aufgaben im Gehirn erfüllen, ebenfalls richtig funktionieren.
Ist das Erregungslevel gestört, arbeiten die Netzwerke nicht adäquat, was sich schlussendlich in bestimmten Symptomen, negativem Verhalten, instabilen Emotionen und Erkrankungen zeigt. In der Literatur finden sich Hinweise darauf, dass eine Unterfunktion, d.h. ein verringertes Erregungslevel des Gehirns, bei Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung vorliegt. Eine Überfunktion, d.h. ein erhöhtes Erregungslevel des Gehirns, wird eher mit Angst- und Panikzuständen, chronischen Schmerzen und Schizophrenie in Verbindung gebracht (3).
Das ILF-Neurofeedback dockt am individuellen Erregungslevel der Person an, beeinflusst diese und unterstützt somit die Netzwerktätigkeit (4).
Ein gelingender Wechsel zwischen den Netzwerken und eine austarierte Netzwerktätigkeit selbst, lassen sich gut auf das Orchester Beispiel übertragen: Das Musikstück klingt gut solange die Musiker nicht nur in der Lage sind den richtigen Ton zu treffen, sondern auch wissen, wann sie spielen sollen und wann nicht.
Die Netzwerke
Netzwerke sind Nervenzellverbände, die im Gehirn in bestimmten Situationen gleichzeitig aktiv werden.
Wer genaueres über die wichtigsten Netzwerke erfahren möchte, kann hier gerne weiter lesen.
Default Mode Network
Das DMN (Default Mode Network) ist aktiv, wenn man ruht und keiner spezifischen Aufgabe nachgeht. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Gehirn „nichts tut“. Um das Ruhenetzwerk aufrecht zu erhalten reduziert sich der Energiebedarf des Gehirns gerade einmal um 3% (3).Eine gestörte DMN-Aktivität korreliert mit einer Reihe von neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern wie AD(H)S, Autismus oder PTBS (5).
Central Executive Network
Das CEN (Central Executive Network) arbeitet bei geistigen Leistungen und aktiviert das Arbeitsgedächtnis. Es ist aktiv, wenn Entscheidungen getroffen und Probleme gelöst werden. Eine Fehlfunktion dieses Netzwerks führt zu Problemen den Alltag bewältigen zu können. Eine gestörte Interaktion zwischen dem CEN und DMN wird mit Schizophrenie und Halluzinationen in Verbindung gebracht (6).
Salience Network
Beim SN (Salience Network) geht man davon aus, dass es Einfluss auf die beiden anderen Netzwerke hat und dafür verantwortlich ist, dass entweder das DMN oder das CEN aktiv und das jeweils andere heruntergefahren wird. Das SN erkennt und beurteilt die aktuelle Lage der Person und entscheidet, ob Ruhe oder Aufmerksamkeit, eine geistige und/oder emotionale Leistung zu vollbringen ist. Eine Störung korreliert bspw. mit Depressivität (7).
Was genau bedeutet ILF?
Mit dem Begriff infra-low frequency (ILF) werden sehr niedrige Frequenzbereiche gemeint, d.h. Oszillationen der kortikalen Erregbarkeit im Bereich von 0.01 Hz und weniger (Aktivitätsbereich der Astrozyten). Diese niedrigen Frequenzbereiche spiegeln das Erregungslevel des Gehirns wider. Höherliegende, bisher bekanntere Frequenzbereiche (Alpha-Delta) fußen auf der sehr niedrigen ILF-Frequenzaktivität und werden von dieser beeinflusst (8). Laut Monto (2008) korreliert das menschliche Verhalten mit den Schwankungen im infra-low Bereich (9).
Frequenzbereiche
- High-Beta (20-30 Hz): Anspannung
- Low-Beta (15-20 Hz): aufmerksame Wachheit
- SMR (12-15 Hz): aufmerksame Wachheit bei motorischer Entspannung
- Alpha (8-12 Hz): unaufmerksame Wachheit bei motorischer Entspannung
- Theta (4-7 Hz): Schläfrigkeit
- Delta (1-3 Hz): Schlaf
Das Gehirn ist ein hochkomplexes Organ dessen Funktionsweise bis heute nicht gänzlich geklärt ist. Ambitionierte Forscher haben es sich dennoch zur Aufgabe gemacht eine Art „Schaltplan“ bezogen auf die Gehirnaktivität zu erstellen. Das dieses „Human Connectome Project“ ein überaus langjähriges Forschungsprojekt ist, zeigt sich daran, dass die Rekonstruktion einer vollständigen Verbindung eines Nervengewebes eines Lebewesens bisher nur beim Fadenwurm C. elegans gelungen ist und 14 Jahre gedauert hat. Das Nervengeflecht des Wurmgehirns besitzt 300 Neurone. Dass des Menschen im Vergleich zählt 100 Milliarden Nervenzellen mit Billionen Verknüpfungen (3).
Quellen:
(1) www.neurofeedback-netzwerk.org: Forschung - Neurofeedback Netzwerk (neurofeedback-netzwerk.org)
(2) Fuchs, T. (2021): Das Gehirn - ein Beziehungsorgan, 6. erweiterte und aktualisierte Auflage, Kohlhammer-Verlag
(3) Haus, K.-M., et. al. (2016): Praxisbuch Biofeedback und Neurofeedback, 2. Auflage, Springer-Verlag
(4) Dobrushina et. al. (2020): Modulation of Intrinsic Brain Connectivity by Implicit Electroencephalographic Neurofeedback, Frontiers in human neuroscience
(5) Kirk, H. (2020):Restoring the Brain; 2nd Edition, Taylor & Francis
(6) Manoliu A., et. al. (2013): Aberrant Dependence of Default Mode/Central Executive Network Interactions on Anterior Insular Salience Network Activity in Schizophrenia, Schizophrenia Bulletin, vol. 40, no. 2, pp. 428–437
(7) Onlinelexikon für Psychologie und Pädagogik: Salienz-Netzwerk – Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik (stangl.eu)
(8) Vanhatalo, S., et. al. (2004): Infraslow oscillations modulate excitability and interictal epileptic activity in the human cortex during sleep, Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, vol. 101, no. 14, pp. 5053–5057
(9) Monto S., et. al. (2008): Very slow EEG fluctuations predict the dynamics of stimulus detection and oscillation amplitudes in humans, The Journal of Neuroscience, vol.13, 28(33)